22. Dezember 2017

Radfahren heißt frei sein

Es bringt uns ein Freiheitsgefühl zurück, das wir aus der Kindheit kennen. 

Aufs Fahrrad steigen und schnell - viel schneller als zu Fuß - auf die Felder gelangen. Aus der Rufweite von Müttern hinaus, raus aus der elterlichen Kontrolle. Meistens mögen wir es, wenn uns bei einem Tun als Erwachsene Gefühle aus der Kindheit begleiten. In der Traumdeutung steht Radfahren für Freiheit und Freude, für Optimismus und Zuversicht, mit eigener Körperkraft erreichen zu können, was man sich wünscht.

Radfahren stellt gewissermaßen ein ideale Mischung aus Geschwindigkeit und körperlicher Anstrengung dar. Mit relativ geringem, aber immer spürbarem Aufwand, kommt man in Fahrt. Man spürt den Fahrtwind, man hört die Reifen rauschen. Man ist aber nicht so schnell, dass man sich fürchten muss, die Kontrolle zu verlieren.


Wobei das Fahrrad auch das gestattet: Bei einer Bergabfahrt bis an die Grenze zu gehen, sich den Kick zu holen. Und immer ist man beim Ausbalancieren des Risikos mit ganzem Körper dabei, mit allen Sinnen beschäftigt.

Das Fahrrad ist das ideale Gerät, um sich jeden Tag ein bisschen frei und stark zu fühlen. Egal, ob man jung ist oder alt. Es ist leicht verfügbar, man kann es ab der Haustür einsetzen, man braucht keine besondere Kleidung dafür. Bei schlechtem Wetter kann man auch mal ein bisschen zum Held oder zur Heldin werden, indem man Kälte oder Regen trotzt. Man kann sich auspowern, wenn einem danach ist, oder gemütlich rollen und anhalten, wenn man Freunde trifft. Das Fahrrad bringt einen hinein in die Stadt, unter Menschen, und wenn man will, auch hinaus ins Grüne und das alles ohne organisatorischen Aufwand und in kurzer Zeit. Der Körper und seine Bewegungs- und Reaktionsfähigkeit sind immer mit dabei. Wir sind als ganzer Mensch unterwegs, frei wie mit keinem anderen Verkehrsmittel sonst.

Und das Schöne: Man muss gar nichts können. Eine besondere körperliche Geschicklichkeit ist nicht vonnöten. Hat man einmal als Kind Fahrrad gelernt, dann kann man später sofort wieder loslegen, auch ohne Fitness, sofern man sich keinen Berg vornimmt. Radfahren fordert einen dennoch körperlich, vom Moment des Aufsteigens an. Balancieren verlangt den Einsatz vieler Muskeln, ohne dass man sie überanstrengt.  Anfangs sollte man langsam fahren und sehr vorausschauend bremsen. Denn die körperliche Geschicklichkeit und Reaktionsfähigkeit muss sich nach Jahren im Auto erst wieder bilden. Aber das geht unmerklich und rasch. Schon bei der ersten Fahrt erfährt man sich als hellwach, mit geschärften Sinnen in Bewegung und als schnell. Und man fühlt sich mitten in der Welt, mitten in einer Stadt, mitten in der Natur, umgeben von Geräuschen und Gerüchen, die man im Auto nie wahrgenommen hat. Jeden Meter bewältigt man aus eigener Kraft, die die Mechanik (Und Elektrik) eines Fahrrades in Geschwindigkeit übersetzt. Anders als zu Fuß sind wir mit einer übermenschlichen Geschwindigkeit unterwegs, und das schafft bei uns Menschen in der Regel ein High-Gefühl.

Schlossgarten
Wir fühlen auch die Natur wieder, sogar in der Stadt. Wir erleben jede Jahreszeit, wir spüren das Wetter, die Hitze, den Frost, den Herbstwind. Wir hören Vögel und manchmal die Mäuse im Unterholz. Wir erleben Licht und Luft, Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge.

Wenn wir an unserem Ziel ankommen, sind wir immer schon einmal draußen gewesen. Die meisten Menschen sind gern draußen. Kinder lieben es, draußen zu sein, übrigens egal, ob es regnet oder schneit oder die Sonne scheint. Draußen sein, gibt uns das Gefühl, nicht eingesperrt zu sein, es weitet die Lungen, die Sinne und die Seele. Wir fühlen uns mitten drin im Draußen, zugehörig und freigelassen. Wir können hingehen oder hinfahren wohin wir wollen. Denn das Fahrrad kommt fast überall durch.

Dass wir so übermütig sind, in Stuttgart Fahrrad zu fahren, obgleich Berge den Kessel umgeben (die ich mit einem Pedelec auslache) mag manchen übel aufstoßen. Manche mögen fröhliche Menschen nicht. Manchen macht die Freiheit anderer Angst. Radfahrer lassen sich nicht kontrollieren. Daran arbeiten sich auch hier im Blog viele grimmig ab. Radfahrer machen, was sie wollen. Sie fahren überall. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich so mancher Autofahrer, hinterm Lenkrad eingepfercht, von Radfahrenden ausgelacht fühlt. Immer wird Radfahrern vorgehalten, sie fühlten moralisch überlegen. Woraus immerhin spricht, dass die Überlegenheit von Radfahrenden insgeheim gesehen und damit anerkannt wird. Viele Untersuchungen zeigen ja mittlerweile, dass Radfahren gesund ist, Depressionen und Krebs vorbeugt, der Umwelt gut tut, Lärm reduziert und Stau verringert. Wir tun uns selbst etwas Gutes und der Stadt und unseren Mitmenschen auch.

Und klar sind Radfahrende allen anderen überlegen, die in der Stadt unterwegs sind: Sie sind schneller als Fußgänger und sie sind freier und wendiger als Autofahrer. Sie benutzen ja das für die Stadt ideale Verkehrsmittel. 




1 Kommentar:

  1. When I was anxious and depressed, cycling put me on the road to happiness. ‘Neither medication nor therapy have been viable long-term solutions for my attacks of anxiety, depression and OCD.’ I found comfort with CBT and medication – but then I discovered cycling, and it saved me, revealing a mental strength I didn’t know I possessed.
    Charles Graham-Dixon, theguardian, 18 December 2017

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