14. September 2017

Ein Fahrradführerschein würde nichts bringen

Den Führerschein für Radfahrer würdet ihr Autofahrer nicht bestehen. Die Regeln, die für uns gelten, sind viel zu kompliziert.  

Warum müssen Autofahrer Führerscheine machen, Radfahrer aber nicht? Ungerecht? Nein. Führer von Kraftfahrzeugen müssen deshalb eine Prüfung machen, weil sie ein ziemlich schweres und energiereiches Gerät führen, mit dem sie spielend leicht Menschen töten können,  ohne selbst eine Verletzung zu erleiden. Ihnen muss die ungeheure Verantwortung klar sein, die es bedeutet, mehrere Tonnen mit der Potenz zu 200 km/h durch Wohnviertel, an Schulen vorbei oder entlang von Radstreifen zu steuern.
Weder Radfahrer noch Fußgänger können andere im Straßenverkehr ernsthaft verletzen, ohne selbst verletzt oder gar getötet zu werden. Sie haften immer mit ihren eigenen Haut und Knochen bei Unfällen mit anderen. Räder wiegen nur einen kleinen Bruchteil eines Autos, ihre Energie ist mit der eines Autos nicht zu vergleichen.

Autofahrer, die Radler nicht mögen, fordern allerdings sehr gern den Führerschein für Radfahrer. Eine solche Forderung zeigt auch das Bedürfnis mancher Autofahrer, die uneingeschränkte Macht des Autos auf der Straße zu behaupten und Radlern das Leben schwer zu machen. Denn: Was sollte ein Fahrradführerschein bringen?  Verkehrsregeln müssen Radler, Fußgänger und Autofahrer gleichermaßen beachten. Bei Verstößen müssen sie mit Bußgeldern oder Strafen rechnen. Weder ein Fußgänger noch ein Radfahrer kann sich darauf berufen, dass er keine Verkehrs-Eignungsprüfung ablegen musste und darum nicht gewusst habe, dass man bei Rot stehen bleibt oder nicht auf der Autobahn Rad fährt.

Der Führerschein hindert ja auch Autofahrer nicht daran, die Regeln zu übertreten, nicht nur aus Versehen, sondern sogar absichtlich, also doch noch bei Rot über die Kreuzung zu rasen, auf Gehwegen zu parken, durch für Kraftfahrzeuge gesperrte Straßen zu fahren, ohne zu gucken abzubiegen und dabei einen Radfahrer zu töten, gegen die Einbahnstraße zu fahren, an Stoppschildern nicht zu halten, im Halteverbot zu parken, Autotüren ohne zu gucken aufzustoßen und einen Radler zum Sturz zu bringen und so weiter. Warum sollten sich also Radfahrende wie die Engel an all die Regeln halten, die man ihnen einmal abgeprüft hat? Der Führerschein erzeugt keine guten Verkehrsteilnehmer/innen. Und Radfahren lernen die Kinder heute in der Schule, samt den Regeln und einer Abschlussprüfung.

Ein Radwegschild - Was ordnet es hier genau an? 
Dabei sind die Regeln für Autofahrer einfach, verglichen mit denen für Radfahrer. Autofahrer haben nur eine Sorte Ampeln, wir haben mindestens fünf. Autofahrer dürfen nur auf Fahrbahnen fahren, wir dürfen oder müssen sogar auf Fahrbahnen, Gehwegen und Radwegen fahren, wo jedes Mal andere Regeln gelten. Autos dürfen nicht gegen die Einbahnstraße fahren, wir dürfen es, aber nur manchmal. Autofahrer haben Schilder, die ihnen die Höchstgeschwindigkeit zeigen, wir haben keine und müssen nicht einmal einen Tacho am Lenker haben. Wir müssen an der Situation erkennen, ob Schrittgeschwindigkeit gilt oder nicht. Autofahrer können an durchgezogenen Linien erkennen, wo sie nicht abbiegen oder überholen dürfen. Wir müssen selber entscheiden, ob die durchgezogene Linie im Asphalt für uns bindend ist oder ob nur vergessen wurde, sie zu entfernen. Und wir müssen falsche oder sogar völlig widersinnige Schilder richtig interpretieren. Wir müssen sogar Verkehrsregeln, die wir zufällig kennen, übertreten, wenn sie auf der für uns ausgewiesenen Route weiterkommen wollen. Autofahrer werden an Baustellen auch nie beispielsweise über die Landebahn eines Flughafens gelenkt. Wir Radler müssen aber durchaus urplötzlich vom Radstreifen oder Radweg auf die Auto-Fahrbahn ausweichen, weil man vergessen hat, eine halbwegs geschützte Umleitung einzurichten. Oder weil das Baustellenschild für Autofahrer auf dem Radstreifen steht.

Das ist alles so kompliziert, dass die meisten Radler nach Sicht und Einschätzung (auch im eigenen Interesse der Gefahrenvermeidung) im Pfadfindermodus radeln. Undwozu sie Tausenderlei abfragen, wenn selbst Autofahrer die paar Regeln, die es fürs Autofahren gibt, nach ein paar Jahren nicht mehr beherrschen?

Auto biegt regelwidrig ab 
Auch das Fahrradkennzeichen soll es richten, wenn man so manchem aufgeregten Radhasser glauben will. Nur was eigentlich?

Bekanntlich gibt es Kennzeichen für Autos. Aber helfen die wirklich gegen Regelverstöße und riskantes Verhalten? Hat die Schülerin, die von einem Autofahrer gegen den Bordstein gedrückt wurde und stürzte, das Nummernschild gesehen? Wer sieht bei einem Konflikt das viel kleinere Radkennzeichen und merkt sich das Gesicht des Radlers?


Wenn sich Verkehrsteilnehmer/innen nicht an die Regeln halten wollen, dann helfen Führerscheine und Kennzeichen nichts. Es würde uns aber helfen, wenn wir im Straßenverkehr die Regeln beachten würden, statt zu meinen, wir hätten ein Recht darauf, auf schnellstem und kürzestem Weg von A nach B zu kommen. Autofahrer gefährden dabei Menschenleben, Radfahrer gefährden sich und Fußgänger, Fußgänger gefährden nur sich und manchmal auch Radfahrer, denen sie in den Weg laufen und die sie zu Fall bringen. Wann fangen wir an, Verkehrsteilnahme-Berechtigungen und Nummernschilder für Fußgänger zu fordern?

Übrigens kennen alle Radfahrer, die regelmäßig mit dem Rad zur Arbeit fahren oder lange Strecken zurücklegen, die Verkehrsregeln besser als die meisten Autofahrer ihre kennen. Denn der vom Auto dominierte Straßenverkehr verzeiht bei Radlern selten die kleinen Fehler, große schon gar nicht. Und Radler wissen vor allem auch, welche Regeln Autofahrende gerne mal geschwind übertreten, und sehen das voraus, denn sonst sind sie tot oder mindestens schwer verletzt.

11 Kommentare:

  1. Die Forderung nach einem Führerschein für Radler entspringt der Überzeugung, dass "die endlich auch mal lernen, sich an die Regeln zu halten. Die machen ja auf ihren Rädern, was sie wollen."

    Und diese Forderung beweist auch, dass viele Menschen im Auto-Modus ihr Hirn ausschalten und für sachliche Argumente nicht zugänglich sind, denn

    1. haben die meisten Radler einen Führerschein der Klasse B (Auto)

    2. gibt es einen Führerschein für Fahrräder. Es ist die Klasse AM, die in der Klasse B enthalten ist.

    "Krafträder mit einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 45 km/h und einer elektrischen Antriebsmaschine (...), die zusätzlich hinsichtlich der Gebrauchsfähigkeit die Merkmale von Fahrrädern aufweisen(Fahrräder mit Hilfsmotor)."

    Und wenn der Gesetzgeber einem Autofahrer die Fähigkeit zugesteht, ein Fahrrad mit Hilfsmotor zu führen, dann wird dasselbe auch für das Führen von Fahrrädern ohne Hilfsmotor gelten.

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  2. Danke Christine und Danke auch an Matthias für die sehr guten Beiträge und Informationen. Was wirklich helfen würde? Zum Beispiel die Anwendung von §1 der StVO. In Kurzform: Verpflichtung zu gegenseitiger Vorsicht und Rücksicht und keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Aber noch nicht mal die Verkehrsjuristen wenden diesen Grundsatz an, denn dann würde zum Beispiel bei der alltäglichen Raserei auf den Autobahnen jedem dritten Fahrer unverzüglich die Fahrerlaubnis entzogen werden müssen.

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  3. Danke, für den guten Artikel.
    Er spiegelt genau das wiederum, was ich auf meinen täglichen Fahrten erlebe und denke (Insbesondere der letzte Absatz).

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  4. Gleiches Thema, ähnliche Ansichten: https://radverkehrspolitik.de/fahrradfuehrerschein-das-kapiert-doch-eh-kein-mensch/

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  5. "Führerschein für Radfahrer" gehört in diesselbe Rubrik wie "Radfahrer zahlen keine Steuern".
    Man hört das weniger von 'Autofahrern' als vielmehr von Trollen. Aufgrund der simplen Argumentationsstruktur (dazu weiter unten) und der vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten (passt immer in Radverkehrsdiskussionen) sind beide auch für bots wie gemacht.
    Gezieltes Trollen, auch per bot, will - und schafft es oft auch - Diskussionen lenken bzw verhindern.

    Die Argumentationsstruktur ist im Kern folgende:

    Der öffentliche Raum, jedenfalls große Teile davon, ist für diejenigen reserviert, die eine Berechtigung vorweisen können bzw ihn angeblich 'finanzieren'.

    Wer keine Eignungsprüfung vorweisen kann und auch keine Kfz-Steuer zahlt, der hat dort nichts verloren oder darf zumindest keine Ansprüche erheben.

    Die Argumentation, Radfahrer sind, schon aus Eigeninteresse, wesentlich regelkundiger und für sie ist ja eh alles auch noch viel komplizierter, die geht daneben.

    Das Benutzen des öffentlichen Raumes ist das unveräußerliche Recht Aller, egal ob sie überhaupt Steuern zahlen (Umsatzsteuer zahlt jeder) oder ob sie die entsprechenden Regeln lernen und anwenden können. Sonst müsste man sie, vor allem Kinder, aber auch nicht wenige Erwachsene, einsperren.
    Das Benutzen des öffentlichen Raumes ist ein Grundrecht. Es ist die Voraussetzung für Teilhabe im weitesten Sinne, sei es wirtschaftliche (zur Arbeit, zur Ausbildung, etc), soziale (zu Freunden, zu Verwandten, etc) oder kulturelle (Theater Veranstaltungen etc) Teilhabe.


    Das Ziel muss sein, den öffentlichen Raum, der Allen gehört, von Allen finanziert wird und an dem Alle teilhaben (müssen), so zu gestalten, dass möglichst Alle, Autofahrer, Fußgänger, Radfahrer, Öffi-Benutzer, ihn auch, selbstverständlich gleichberechtigt, benutzen können.

    Das Sicherheits- und Organisationskonzept des öffentlichen Raumes darf sich deshalb nicht in der Voraussetzung von Regelkenntnis und individueller Rücksichtnahme (§1 StVO) erschöpfen.
    Denn das würde, machen wir uns nichts vor, entweder zu einer nahezu einhundertprozentigen Überwachung - oder aber zum Recht des Stärkeren führen.

    Vielmehr ist faire Flächenverteilung, systematische, baulich implementierte Sicherheit, Fehlertoleranz und intuitive Verkehrsführung vonnöten.

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  6. Eventuell gehört das Kommentar nicht hierhin aber ich frage trotzdem. So eine Verkehrslage: Ein LKW steht auf der Straße in meiner Fahrtrichtung. Vor mir fährt noch ein Auto und hält kurz vor dem LKW. Das Auto kann nicht das LKW umfahren weil aus der Gegenrichtung fährt ein anderes Auto. Für mich aber, als Radfahrer gibt es ausreichend Platz um das Auto vor mir und das LKW umzufahren. Wenn ich es tue, dann erst schaltet das Auto vor mir den Blinker und fängt an das LKW umzufahren. Ich schaffe gerade noch das Auto zu überholen, dann das LKW. Nach einigen hundert Meter stoppt mich das Auto das ich umgefahren/überholt habe und der Fahrer sagt dass das was ich getan habe unzulässig war. Stimmt es?

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    1. Lieber Konrad, wenn ich deine Beschreibung richtig verstanden habe, dann ist das dieselbe Situation wie wenn sozusagen das Auto hinter dir, dich überholt, während du hinter einem langsamen Fahrzeug hängst und noch nach einer Lücke im Gegenverkehr suchst. Ist grenzwertig, passiert aber. Wer überholen will, muss auch nach hinten gucken, bevor er ansetzt. Der, der ausscheren will, muss gucken und abwarten, bis alles frei ist. Insofern war deine Aktion erlaubt, allerdings sehr riskant, denn Autofahrer rechnen nicht damit, dass sie ein Radfahrer überholt, und sie sehen sie auch im Rückspiegel schlechter (im Toten Winkel gar nicht) als ein Auto, das von hinten kommt und sie und das Hindernis überholt.

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  7. Vielen Dank für Deine Antwort, Christine!

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    1. Guten Morgen Konrad, was in dieser Situation definitiv unzulässig ist: Der Autofahrer hält dich an, um dich zu belehren. Hier ist sehr schnell die Grenze zur Nötigung überschritten.

      Du hast hier immer drei Möglichkeiten. Entweder Anzeige wegen Nötigung stellen - bringt meist nix. Oder diskutieren - bringt erst recht nix. Der Stärkere hat immer recht. Oder einfach kommentarlos weiterfahren - die schwierigste Option.

      Viele Grüße

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  8. Aha: Auto gegen Fahrrad. Ja immer wieder. Genau. Vielleicht bin ich in diesem Blog nicht ganz richtig, aber meines Erachtens sollten Menschen auf dem Rad auch andere Menschen auf dem Rad verkehrstechnisch berücksichtigen, und auch hier nicht die 'SAU' rauslassen: Zum dritten Mal!!! am Vogelrein: hier schwenkt die Fahrradbahn in einer engen, unübersehrlichen S-Kurve - nur Fahrradbahn, wohlgemerkt, in eine Gerade - Richtung Kaltental ein. Wer diese Stelle kennt, wird wohl wissen, von was ich rede: Die Richtung Stadt fahrenden Radler kommen mit einem etwa 21 Kmh-Tempo daher, die aufwärtfahrenden sind mit etwa 10 Kmh dabei: Nur diese Stelle erlaubt es das nur zwei!! Radler gekonnt abgebremst entgegenkommend ausweichen können ... Heute - mal wieder - ich bin bergauf unterwegs, mit der Vorsicht an dieser Stelle, zwei sehr schnell an mir vorbei überholende Radler (keine E-Bikes) in genau dieser S-Kurve Richtung Kaltental preschten an mich heran - eine Fahrradfahrerin kam von vorne, riß die Augen auf, versuchte auszuweichen und schredderte an einem Busch vorbei, die beiden 'Kollegenschweine' überholten sich gegenseiteig: bedeutet: Kurven, nur ein Farhrad je Richtung mit höchstens Schrittgeschwindigkeit möglich, plötzlich vier Fahrräder auf vier Meter Breite in einer 40° S-Kurve. Es handelt sich hier nicht um einen Auto/Fahrradkonflikt, sondern um einen Fahrrad/Fahrradkonflikt - ich habe diese Situation einer Kolission an diesem Ort schon zwei Mal erleben müssen, heute ging es mal wieder gut aus: Wenn sich irgendjemand angesprochen - sprich - ertappt fühlen sollte - warum macht IHR das? Warum fahrt Ihr schlimmer als Autos?? Habt Ihr den Führerschein verloren und müßt nun alles mit dem Rad nachhholen???

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    1. Ohne Frage sollten Radfahrende sich auch an die Regeln halten, rücksichtsvoll und vorausschauend fahren und mit angemessener Geschwindigkeit. Und das tun sie nicht immer und nicht überall. Was sollte man tun gegen die von dir beschriebene Situation? Außer bessere Radwege bauen, wo es nicht zu solchen Konfrontationen kommt?
      Und eines möchte ich doch noch anmerken: Jeder Radler, der einen anderen (oder einen Fußgänger) anfährt, kommt selbst zu Fall und verletzt sich dabei meistens. Übrigens sind knapp 40 Prozent der schweren Radlerunfälle solche, wo kein anderer Mensch, weder ein Radler noch ein Autofahrer beteiligt ist, also Alleinunfälle. Da sieht man schon, dass Radfahrende Risiken eingehen, die sie mit ihren Fahrkünsten nicht abfangen können. Es gibt aber einen riesigen Unterschied
      zwischen Radlern und Autofahrern. Autofahrer können andere schwerst verletzen oder töten, ohne selbst irgendein Risiko an Leib und Leben dabei einzugehen, denn sie sitzen in einem Panzer.
      Mir geht es hier auch nicht darum, einzelne Autofahrer oder Radfahrer anzuprangern, sondern auf das Verkehrssystem zu schauen, das - wie zumindest ich finde - Radfahrende benachteiligt und zusätzlich in Gefahr bringt, und das besser gestaltet werden muss, damit kleine Fehler nicht zu großen Unfällen führen.

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