20. April 2017

Grüne Welle ist ein Mythos aus dem vorigen Jahrhundert

Alle wollen eine Grüne Welle - Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger - auf ihrer Strecke. Die meisten haben ihre festen Strecken und verstehen nicht, dass sie da nicht rollen dürfen. Wäre doch auch viel besser für die Umwelt, wenn sie rollen.  

Aber Grüne Welle für eine Straße bedeutet immer, dass alle anderen länger und öfter an roten Ampeln stehen, beispielsweise alle, die von Seitenstraßen kommen, die ebenfalls Hauptverkehrswege sein können. Auch Fußgänger und Radfahrer. Ein Straßen- und Ampelnetz ist ein höchst komplexes System. Fahren die einen, stehen die andern. Und die andern schimpfen dann, dass man ihnen keine Grüne Welle  gibt. Wäre doch so viel besser für die Umwelt.

Wobei so mancher Autofahrer gar nicht merkt, dass er auf einer Straße mit grüner Welle fährt, weil er (oder sie) nämlich viel zu schnell fährt.
Wer an jeder Ampel  mit knapp unter 60 km/h  zur nächsten Ampel durchstartet, muss an dieser Ampel wieder bremsen und glaubt, er habe immer nur Rot. Dabei ist er einfach zu schnell für die Grüne Welle. Auch solche Irrtümer kommen häufig vor, vor allem bei Leuten, die zu spät dran sind und es eilig haben. Die stehen mehr. (Wer es eilig hat, muss langsam gehen; chinesisches Sprichwort.)

Neckarstraße, Fußgängerampeln 
Und nun ist ja auch die große Frage, wer in einer Innenstadt, beispielsweise Stuttgart überhaupt eine Grüne Welle bekommen sollte. Fußgänger haben den gleichen Anspruch, nicht ständig an Straßenrändern und auf Verkehrsinseln herumzustehen, während der Autoverkehr an ihnen vorbei braust. Fußgängerampeln haben oft sehr lange Rot. Und Fußgänger verursachen gar keinen Feinstaub, deren Fortbewegung müsste man also heftig fördern.

Radfahrende hätten auch gern eine Grüne Welle. Doch die ist (wie man beispielsweise in der Neckarstraße ab Hackstraße stadteinwärts an den drei hintereinander geschalteten Fußgängerampeln gut sehen kann, auf eine unterste Geschwindigkeit von ca. 28 km/h ausgelegt. So schnell muss ein Radler mindestens sein, um nicht an der letzten Fußgängerampel bei Rot ausgebremst zu werden, während die Autos munter durchrutschen.

In Stuttgart sind ungefähr 70 von 300 Ampeln auf grüne Welle geschaltet, erinnere ich mich, gehört zu haben (bitten nagelt mich darauf nicht fest). Aber nur für Autos. Die Grüne Welle wird gern als Argument für Feinstaub- und Stickoxidvermeidung benutzt. Der Verkehr müsse rollen, Autos dürften nicht bremsen und starten. Das sei ganz verheerend. Stimmt auch. Aber ganz verheerend ist halt auch unser Fahrstil. Auf der Cannstatter Straße verlangsamt niemand die Fahrt, wenn ob auf der Anzeigetafel "Grün bei 30 km/h erscheint. Alle fahren gerade so weiter und bremsen sich an der Ampel in Reihe.

Und es ist auch ein Mythos, dass nur der rollende Verkehr gegen Feinstaub und Stickoxide helfe. Denn erstes wirbelt der rollende Verkehr den Feinstaub erst richtig auf und brummende Motoren stoßen viel Stickoxide aus. Zweigens erzeugt der rollende Verkehr noch mehr Verkehr, weil alle glauben, in Stuttgart rollt es ja, man fahre da überhaupt besser mit dem Auto als mit was anderem. Und dann hat sich auch gezeigt, dass der stehende Verkehr am wenigsten Feinstaub und Sitckoxide erzeugt. Nämlich als am ersten Feinsgtaubtag im Winter der Verkehr für zwei Stunden wegen einer Demonstration am Neckartor stand.  Da sanken sofort die Feinstaubwerte unter die kritische Marke und blieben so für diese zwei Stunden. Das heißt: Ein stehender Autoverkehr (oder ein sehr langsamer mit Stop and Go) ist immer noch besser für die Luft in der Stadt als ein rollender.

Und es wäre richtig gut für die Stadt, wenn man den Radverkehr durch grüne Wellen, eine durchgängige Radinfrastruktur, kurze Stehzeiten an Querungsampeln und Rad-Linksabbiegespuren über große Plätze (Charlottenplatz) fördern würde. Denn das würde mehr Menschen aufs Rad locken, die das Primat des Autos auf unseren Straßen derzeit noch ziemlich abschreckend finden. Das wäre eine vergleichsweise billige und menschenfreundliche Maßnahme zur Minderung der Luftverschmutzung in unserer Stadt. Viele Radfahrer entlasten nicht nur die Stadt vom Autoverkehr, sie entlasten auch die morgens überfüllten Stadthahnen. Und Baumaßnahmen für Radfahrende kosten fast gar nichts verglichen mit dem übrigens Verkehr für große Fahrzeuge.

Die Grüne Welle für Autos ist ein Mythos aus dem vorigen Jahrhundert. Stuttgart braucht eine Grüne Welle für Fußgänger/innen und Radfahrende.

1 Kommentar:

  1. Es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen Radfahrern und anderen Verkehrteilnehmern (Fussgänger und motorisiert):

    Nichts ist für einen Radler schlimmer als alle paar Meter anhalten und wieder losfahren zu müssen wenn der Schwung und Flow einen locker dahin tragen könnte ...

    Für den Fußgänger macht es wenig Unterschied ob er stehen bleiben muss oder nicht, außer es ist ein Ego-Problem. Das weiß ich weil ich selbst Teilzeit-Fußgänger bin.

    Ein Autofahrer muss sowieso ständig achtsam sein und (re-) agieren, das ändert sich auch nicht wenn es andere Verkehrsteilnehmer auch müssen. Das weiß ich weil ich auch mal Autofahrer war und es gelegentlich noch tue, wenn unvermeidbar.

    Das Problem sind m.E. aber nicht rote Ampeln und schlecht angelegte grüne Wellen, sondern schlecht und ungenügend angelegte Radwege die nicht durchgängig und unzureichend markiert sind.

    Und das ist eben Pflicht, in Zeiten wo immer weniger Leute selbstständig denken können und ihrer Umwelt die nötige Aufmerksamkeit zuteil werden lassen.

    Bestes Beispiel: das Stück "Radweg" am Landtag entlang und dann weiter über und um die "Schikane" bei/wegen S21 - bei all dem was S21 kostet wäre hier eine radverkehrfreundlichere Lösung auch nicht mehr ins Gewicht gefallen.

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