1. November 2015

Fahrradfreundliche Unternehmen - eine Rarität

 Ein Tiefgaragenplatz für einen Radständer. Sehr schön.
(Kolping Bildungswerk, Rosensteinstr. Stuttgart)

Seit acht Jahren zertifiziert der ADFC  "fahrradfreundliche Unternehmen" und hat dafür Kriterien aufgestellt.Will ein Unternehmen dieses Zertifikat, wird es von einem Berater besucht.

Der guckt zum Beispiel, ob genügend Abstellmöglichkeiten da sind, und vergibt Punkte. Einem Pressebericht zufolge hat ADFC in Deutschland seit 2007 knapp zwanzig Unternehmen so ausgezeichnet (Stand 2014).

In Baden-Württemberg waren nach Angaben des Fahrradclubs die Firma Paul Lange & Co  in Stuttgart und die Wala Heilmittel GmbH in Bad Boll die ersten Arbeitgeber, sogar bundesweit, die das Zertifikat wollten und bekommen haben.*
Nicht gerade viel. Offenbar ist im Bewusstsein unserer Arbeitgeber noch nicht so recht angekommen, was sie an Miterabeiter/innen haben, die statt mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln mit dem Rad zur Arbeit kommen.

Daimler unterstützt Rad fahrende Mitarbeiter an allen Stuttgarter Standorten und hat sogar ein eigenes Pedelec für sie entwickel. Im Daimler-Blog heißt es: "Wie werden wir in Zukunft zur Arbeit kommen? Wie zum Sport oder zum Einkaufen? Die Autos werden immer größer, die Motoren haben immer mehr PS aber der Weg zur Arbeit dauert immer länger. Zu volle Straßen, zu viele Staus, zu viele Behinderungen. Dazu kommt die Parkplatzsuche. Ein weiterer Aspekt: Die Arbeitnehmer werden im Schnitt älter." Und das sagt ein großer Autohersteller.

Eine Radverkehrsförderung hat für Unternehmen Vorteile:
  • Sie müssen für Mitarbeiter weniger Autoabstellplätze vorhalten oder ihre Mitarbeiter parken nicht die umliegenden Straßen zu.
  • Radparkplätze sind billiger als Autoparklätze, Räder brauchen viel weniger Platz.
  • Radelnde Mitarbeiter/innen haben eine stabiliere Gesundheit, denn sie bewegen sich regelmäßig, kommen frischer an, sind konzentrierter und meistens auch besser gelaunt.
  • Radelnde Mitarbeiter kommen pünktlich, sie stehen nie im Stau und sie sind von keinen Bahnstreiks betroffen. (Sie können allerdings mal einen Platten haben wegen Scherben auf dem Radweg.) 
  • Firmen verbessern mit einer Radförderung ihr Image und 
  • sie tun etwas gegen den Autostau in ihrer Stadt und für die Umwelt. 
Ohne Dach, im Sommer überfüllt. Wird auch als
Motorradparkplatz missbraucht. (SWR). Auf einem 
nicht für Radler freigegebenen Gehweg, also ohne 
legale Zufahrt.
Damit das auch passiert, braucht es einen Fahrradbeauftragten, besser noch eine Beauftragte, denn die macht auch Frauen Mut, Ist es einem Betrieb wirklich wichtig, kann er mit einem Bonus-System fürs Radeln Anreize schaffen, Firmenräder zur Verfügung stellen, die auch privat genutzt werden dürfen, und ein Sicherheits- und Regeltraining anbieten. Abstellplätze, Duschen, Werkzeug und Luftpumpe sind selbstverständlich. Allerdings dürfen Mitarbeiter/innen, die mit dem Auto kommen wollen, nicht ausgegrenzt werden.

Allerdings ist meine Erfahrung, dass viele Kolleg/innen vielleicht schon könnten oder wollten, wenn sie sich nicht so unsicher fühlen würden, was Weg, Rad und Straßenverkehr anbelangt. Pedelecs machen Wege heute leichter, Strecken von 13 Kilometern sind kein Problem. Manchmal ist es aber ein Problem, dass man die Welt nur vom Auto aus kennt und keine Ahnung hat, wie man mit dem Fahrrad zur Arbeit kommt. Radler müssen leider immer noch Pfadfinder sein. Aber auch dabei könnte eine Fahrradbeauftragte helfen. (Oder, wenn Sie in Stuttgart wohnen, dann fragen Sie mich. Ich suche Ihnen einen Weg.) 

Falls Sie sich als Firmen- oder Personalchef fragen, ob Sie eigentlich eine gute Radpolitik im Betrieb machen, dann kommen Sie selber mal mit dem Rad und exerzieren es durch.
  • Kommen Sie so bequem mit Rad auf den Abstellplatz wie mit dem Auto zum Parkplatz? 
  • Ist er vor Wetter und Diebstahl geschützt und nachts beleuchtet? 
  • Finden Sie mit dem Rad überhaupt Platz oder ist die Anlage überfüllt? 
  • Parken dort lauter Motorräder? 
  • Sind die Radständer so praktisch und weit auseinander, dass Sie Ihr Rad gut anschließen können? 
  • Können Sie mit dem Rad rangieren?  
  • Müssen Sie viel weiter zum Büro laufen als vom Autoabstellplatz aus? 
  • Gefällt Ihnen die Radabstellanlage eigentlich?

Wenn Sie nicht mit dem Rad kommen können, dann machen Sie sich mal zu Fuß auf den Weg, schauen sich die Plätze an, wo Ihre Mitarbeiter/innen die Räder lassen sollen, und stellen Sie sich die oben stehenden Fragen. Und noch eine dazu: Ist der Radabstellplatz womöglich leer oder halbleer und stehen die Räder wild irgendwo außerhalb herum? Dann ist höchster Alarm. Denn dann stimmt mit dem Radparkplatz etwas Grundlegendes nicht. Radler nehmen zwar kleine Unbequemlichkeiten in Kauf, aber keine großen. 

Dieser Radabstellplatz (Foto links) des SWR  ist zum Beispiel halbleer, meist zu zwei Dritteln leer, während die anderen beiden überfüllt sind. Das hat natürlich einen guten Grund oder eigentliche mehrere.

Mit dem Rad kommt man zwar die Rampe ganz gut rauf, aber dann beginnen die Probleme. Man muss den Betriebsausweis ans Lesegerät halten. Das entsperrt das Tor. Meist schiebt man mit dem Geldbeutel oder Ausweis in der Hand das Rad sofort zum Tor. Muss man auch, denn ist man nicht schnell genug beim Tor, geht es nicht mehr auf, und man muss zurück zum Kartenleser. Jetzt hat man aber den Geldbeutel noch in der Hand und muss zugleich Tor und Rad halten oder besser voneinander fern halten.
Das Tor ist ein wirklich schweres Tor. Während man es mit der rechten Hand zu sich her aufzieht, hat man das Rad an der linken Hand zwischen sich und dem Torblatt, das man nun von sich weg stemmen muss, um das Rad durchzuführen. Lässt man es zu früh los, fällt schlägt es gegen das Rad, und zwar sofort, weil der Schließmechanismus eben ziemlich stark ist.
(Man kann das Tor auch, bevor man das Rad reinschiebt, ganz aufmachen und in eine Halterung einrasten. Aber wie viele Wege macht ein Radler, bevor er sein Rad abstellt? Das erinnert an die 70er Jahre, als Autofahrer noch Garagentüren händisch aufwuchteten, bevor sie hineinfuhren. In der Tat ist die Radinfrastruktur nicht nur hier oftmals auf dem technischen Stand des vorigen Jahrhunderts stehen geblieben.)

Holt man abends das Rad wieder und schiebt es wie üblich auf der rechten Körperseite zur Rampe, dann stellt man fest: So geht das nicht, ich muss die Seite wechseln. Die Rampe ist links. Man gewöhnt sich an, das gleich zu machen, hat dann aber beim Toröffnen (schwer) wiederum das Rad zwischen sich und dem Torblatt, das zuverlässig aufs Hinterad fällt, sobald man es loslässt, um das Rad voll rauszuschieben. Wenn man nicht exakt ist, trifft das Hinterrad dann die Rampe nicht und hoppelt die Stufen runter. Und Stalltetaschen verhaken sich im Gebüsch oder streifen an der Mauer Die Rampe auf der rechten, der Runter-Seite fehlt, weil die Treppe zugleich Fluchtweg ist. Ein schönes Beispiel, wie man Radabstellplätze nicht organisieren sollte.

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*Paul Lange ist ein Unternehmen der Fahrradbranche, da ist das vielleicht nicht verwunderlich. Sieben Prozent der Mitarbeiter kamen schon mit dem Rad, es gab Duschen, und der Zugang zum Firmengelände war radgerecht. Man musste nur die Vorderradhalter durch anständige Radständer ersetzen. Wala dagegen produziert Naturheilmittel. Das Unternehmen interessierte sich denn auch  mehr für Gesundheitsaspekte und prämierte Mitarbeiter, die Rad fuhren: Sie bekamen einen Zuschuss für den jährlichen Radcheck in der Werkstatt. Im bayrischen Neu-Ulmer bekam im vergangenen Jahr das Daimler EvoBus-Werk das Zertifikat, weil es eine fahrradfreundliche Infrastruktur bereitstellte und Mitarbeiter zum Radfahren animierte, und zwar im Rahmen des Gesundheitsmanagements. Denn wer mit dem Rad kommt und heimfährt, ist frischer, konzentrierter, wird nicht von jeder Erkältungswelle erfasst und ist insgesamt gesünder.

1 Kommentar:

  1. Deutsche Firmen sind da einfach zu zögerlich. In den Niederlanden gibt es eine Versicherung, die hat allen Mitarbeitern, welche innerhalb eines Radius von 10km um das Bürogebäude wohnen, den Parkplatz gestrichen. Dafür wurde der Hausmeister dazu gewonnen, kleine Reparaturen aus zu führen und für Pedelecer wurde die Möglichkeit geschaffen, die Batterie auf zu laden. Kostenfrei. Die freien Parkplätze wurden für die Radfahrer einzäunt und mit Radständern versehen. Dies trägt eindeutig dazu bei, die Mitarbeiter zu Motivieren und die Gesundheit der Mitarbeiter zu steigern.

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