23. September 2014

Kreatives Verhalten

Grundsätzlich gilt für alle Radverkehrsplaner: Die Streckenführung muss klar, einfach und direkt sein. Und Radfahrer/innen warten nicht gern an Ampeln, vor allem nicht lang.

Denn sie sitzen ja nicht gemütlich in einem Sessel wie Autofahrer/innen, sondern sie stehen. Manchmal auf zwei Beinen, manchmal stützen sie sich mit einem Bein ab. Ihre Muskeln sind beim Halten nicht passiv wie die von Autofahrern, sondern aktiv und angespannt.

Muss ein Radler an einer Ampel länger als 30 Sekunden warten, dann sucht er sich entweder ad hoc oder beim nächsten Mal eine Alternative. Entweder eine andere Strecke, oder an der Ecke einen anderen Weg. Ein solches Verhalten nennt man freundlich "kreatives Verhalten."


Radler sind nicht die einzigen, die das zeigen. Fußgänger treten Tampelpfade durch Grünanlagen, wenn die Wege sie außen herum führen oder fehlen. Autofahrer fahren durch Straßen, die ihnen verboten sind, trotz Schranke und trotz Einfahrt-Verboten-Schilds. Die Suche nach kreativen Lösungen in Situationen, deren Regelung gerade nicht einsichtig und unbequem ist, ist ein allgemein menschliches Verhalten. 

Kluge Verkehrsplaner planen so, dass kreatives Verhalten minimiert wird. Es muss halt passen. Für Autos, für Fußgänger und für Radfahrer und ihre je eigenen Fortbewegungsformen. Auch die Ampel-Grün-Phasen. Für Autofahrer schon lange optimiert, für Radler überhaupt nicht.

Eine davon ist die Radspur-Ampel am Neckartor stadtauswärts in die Neckarstraße. Der Typ, hinter dem ich hergeradelt bin, zeigt hier sämtliche Schwachstellen auf und findet für die Mängel eine kreative Lösung.

Erstes Problem: Radlerampeln stehen meistens falsch, nämlich viel zu weiter hinter der natürlichen Haltelinie, die ein Radler wählt. Ist dort ein Haltegriff, steht der Radler immer so wie dieser Mann hier, der sich schließlich umdrehen muss, um zu sehen, ob das Teil endlich mal grün wird.

Ich starte an ihm vorbei, weil er das Grün zu spät sieht und nicht in die Gänge kommt, und fahre zügig rüber.  Die Autos aus der Neckarstraße stadteinwärts haben grün und rasen in die Willy-Brandt-Straße.

Zweites Problem: Egal, wohin ein Radler abbiegen will, auf einer Radspur geht es nie in einem Zug nach links oder rechts über eine Kreuzung, sondern immer in mehreren Zügen, unterbrochen durch Ampeln.

Beim ADAC-Gebäude ist unser Haltepunkt mit einer Radlerampel. Wir sind jetzt linksseitig der Neckarstraße und müssen rechts rüber. Natürlich ist die Ampel rot. Und man seht gute 30 Sekunden.

Die Aufstellfläche ist für zwei Radler
hintereinander auch arg knapp bemessen. (Ich stelle mich ja so auf, dass ich die Radlerampel vor mir sehe und mich nicht nach ihr umdrehen muss.) Deshalb fährt der Mann nun um mich herum und entert den Überweg - die Autos stehen inzwischen - über den Fußgängerüberweg, der kurz darauf grün bekommt. Es ist nicht recht einzusehen, warum wir stehenden Radler und die stehenden Autolenker uns eine halbe Minute lang anstarren sollen. Während ich als Legalistin noch warte, fährt er hinüber.

Hier kommt er nun an die nächste Verkehrsinsel mit einer Ampel für Radler und Fußgänger, die auch rot ist. Fußgänger bleiben vermutlich stehen (zumindest einige), ein Radler eher nicht, wenn er sieht, dass die Fahrbahn frei ist.

Dieser Radler fährt weiter. Er schwenkt vom Übergang in die Fahrbahn Neckarstraße ein, ohne sich oder Autofahrer zu gefährden, denn es kommt kein Auto.


Ich fahre endlich auch und halte auf dieser Verkehrsinsel erneut. Hier befindet sich ein Drücker für Radfahrer. Der zwingt mich, punktgenau neben ihm anzuhalten und den Arm auszustrecken, den ich lieber am Lenker gelassen hätte. Ich habe genug Zeit, mir die Fortführung anzuschauen. Die rote Spur würde mich auf den Gehweg gegenüber führen, wo sie sich dann auflöst. Was soll ich dort? Zumal auf dem Gehweg? Ich will doch in die Neckarstraße. Ein solcher Übergang ist wie üblich nicht vorgesehen.

Also schwenke auch ich hier bei Grün vom Überweg runter. Kein Problem, aber wäre die nachfolgende Einmündung mit einer Ampel geregelt, und die hätten parallel zu den Fußgängern/Radlern grün, dann würde ich den Autos genau vor den Kühler fahren. Ein Ampelzeichen, das mich warnt, ist beim Einschwenken ja nicht vorgesehen. Es ist ja überhaupt nicht vorgesehen, dass Radler auf die Fahrbahn gelangen.

Würde man vom Ausgang aus dem Schlossgarten die Radspur diagonal über die Kreuzung direkt auf die rechte Fahrspur der Neckarstraße lenken, könnten Radler mit einmal Grün hinüber und weiter. Eigentlich kein großes Problem. Man müsste es nur machen. Man müsste nur wollen.

Es gibt in Stuttgart zahlreiche Ampeln,  deren Wartezeiten für eine nicht geringe Zahl vorn Radfahrern zu lang ist.

Das ist in der Torstraße der Fall, wenn man aus dem Mischverkehrsweg Tübinger Straße kommt und in die Fahrradstraße Eberhardstraße hinein fahren will. Hier mischen sich Radler unter die Autos und stellen sich auf der Linksabbiegespur auf. Dort wartet man lange, sehr lange. Denn erst bekommt die Geradausspur grün, gerne auch zwei Mal im Umlauf. Parallel dazu haben die Fußgänger grün, die vom Horten Richtung Eberhardstraße queren.


Das wissen viele Radler und fahren, wenn sie aus der Eberhardstraße heraus kommen, nicht auf der Fahrbahn über die Radlerampel, sondern über den Fußgängerüberweg. (Auf dem Foto links sieht man so einen.)

Ein deutliches Zeichen, dass die Ampelschaltung nicht für Radfahrer gedacht und auch nicht zugeschnitten ist, sondern für Autofahrer. (Die dürfen allerdings gar nicht mehr dort aus der Eberhardstraße rausfahren, was sie aber trotzdem tun (auch die Polizei).

Ganz schlimm finde ich diejenigen, die vopn der Tübinger Staße gleich auf die linke Straßenseite wechseln, auf den Gehweg fahren, über die grüne Fußgängerampel sausen und dann über den Gehweg in die Eberhardstraße einschwenken. Und es sind erstaunlich viele. (Der auf dem Foto fährt auch noch bei Fußgängerot.)

Die Krux an dieser Ampelschaltung ist, dass die Einfahrspur in die Eberhardstraße an die Linksabbieger unterm Horten durch gekoppelt ist, weshalb alle warten müssen, wenn die Fußgänger links grün haben, die Geradeausfahrer aber dürfen.

Hier muss man für die vielen Radler auf der Hauptroute 1 ganz dringend Spurenführung und Ampelschaltung verändern. Ich plädiere für eine breite Radlerspur mit grün parallel zu den Fußgängern. Oder für einen Kreisverkehr. Vor allem aber für eine schnelle Lösung. Denn Stuttgarts Radfahrer/innen haben sich über all die Jahre hin schon viel zu sehr an kreatives Verhalten gewöhnt.

Auch am Löwentor haben Radler die Lage analysiert und greifen zu kreativen Lösungen. Wenn man aus dem Rosensteinpark oder aus der Nordbahnhofstraße kommt und  in den Hallschlag will, überquert man die Pragstraße mithilfe dieser Radlerampel zur Löwentorstraße. Nachmittags hat sie den Nachteil, dass man wegen des Sonnenlichts nicht erkennen kann, welche Farbe sie zeigt. Sie sieht auch überhaupt nicht vor, dass ein Radler links oder rechts abbiegt. (Linksabbieger müssen wie üblich rüber und sich dann erneut aufstellen wie Fußgänger.)

Sie gibt nur geradeaus frei. Und leider ist sie parallel zur Autoampelanlage geschaltet. Die Autoampel gibt gleichzeitig für Geradeausfahrer und für Linksabbieger grün. Will aber gerade eine Stadtbahn in die oder aus der Löwentorstraße fahren, bekommen die Autos mit ihren Linksabbiegern nicht grün. Sie müssen warten. Der Radfahrer dann auch, obwohl der nur Geradeaus will, also parallel zur Stadtbahn radelt.

Das lassen sich viele Radler nicht gefallen. Sie fahren dann bei Radlerampel-Rot, wenn die Stadtbahn aus der Pragstraße in die Löwentorstraße einbiegt. Und viele radeln auch über den parallel geschalteten Fußgängerüberweg samt Z-Übergang über die Stadtbahnschienen.

10 Kommentare:

  1. Ein schönes Beispiel dafür, dass es auch anders geht, habe ich gerade am neuen Gerber erlebt:

    Aus der Marienstraße oder Reinsburgstraße kommend, die Karlshöhe im Rücken, dürfen nur Fahrradfahrer auf neu angelegter, eigener Spur und Ampelanlage direkt über die Paulinenstraße zum Gerber und in die Innenstadt einfahren.

    In umgekehrter Richtung ist der Radweg, also wenn man vom Gerber der Marienstraße, nunmehr in Fahrtrichtung Karlshöhe folgen will, mit einer zweigeteilten Ampelanlage für Radler gestaltet. Aber - kaum hat man die Verkehrsinsel erreicht - war die zweite Ampelanlage auch bereits grün. Ja, so soll es sein. Geht doch!

    Und noch eine kleine Offtopic-Anmerkung: das Gerber, egal was man davon städtebaulich halten mag, wirbt unter "Lage" und "Verkehrsanbindung" explizit damit, auch per Fahrrad erreichbar zu sein und direkt an der "Hauptradroute Tallängsweg" zu liegen. Cool.

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  2. Sehr frustrierend ist es auch die Löwentorstraße vom Hallschlag aus in Richtung Rosensteinpark zu verlassen. Meine bevorzugte Lösung, links abbiegen Richtung Polizeipräsidium ist wohl für Radfahrer nicht vorgesehen. Die Radspur geht stur geradeaus, die Linksabbiegerampel wird für Radfahrer nicht grün, man kommt auch ohnehin schlecht von der Radspur auf die Linksabbiegerspur weil hier dir Autofahrer nicht damit rechnen, dass man ausschert. Bleibt also nur die Fußgängerampel mit Z-Übergang über die U-Bahn (2x drücken,ewig warten, dabei weit und breit kein Auto).
    Aber es gibt ja auch noch die Möglichkeit weiter geradeaus zu fahren und durch das Löwentor zu fahren. Aber auch hier stellt man, hat man die große Kreuzung geradeaus überquert, fest, dass es auch hier nicht vorgesehen ist links abzubiegen. Man muss auf den Fußweg schieben und die Fußgängerampel nehmen, die auch wieder zweiteilig ist.

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  3. Zu Viola, 23. September 2014 22:07:

    »Sehr frustrierend ist es auch die Löwentorstraße vom Hallschlag aus in Richtung Rosensteinpark zu verlassen. Meine bevorzugte Lösung, links abbiegen Richtung Polizeipräsidium ist wohl für Radfahrer nicht vorgesehen. Die Radspur geht stur geradeaus,[…] man kommt auch ohnehin schlecht von der Radspur auf die Linksabbiegerspur weil hier dir Autofahrer nicht damit rechnen, dass man ausschert.«

    Biege wie mit dem Auto ab: Beginne rechtzeitig damit, dich einzuordnen, zunächst von der Radspur auf den rechten Autofahrstreifen – natürlich mit Handzeichen und Umschauen – und zwar mittig – denn du willst ja, dass dann Autos zum Überholen diesen Fahrstreifen komplett verlassen müssen (siehe auch Friedhelm Waitzmann, am 10. September 2014 13:45 zu »Wenn man es genau überlegt« ab »Radfahrern wird vermittelt, ihre erste Pflicht sei«). Von dort aus passt du wieder eine Lücke im nächsten Fahrstreifen links neben dir ab und wechselst gleicherweise, bis du den Linksabbiegerfahrstreifen erreicht hast.

    Zu »rechtzeitig«: Beobachte mal, wieviel Fahrstrecke sich Autofahrer zum Einordnen genehmigen. Mit dem Fahrrad fährst du langsam, was bewirkt, dass Verkehrslücken links von dir größer als für schneller Fahrende sein müssen, es also nicht einfacher wird. Deshalb steht es dir zu, zum Einordnen genau so viel Fahrstrecke zu beanspruchen wie mit dem Auto.

    Und noch zu »mittig«: Wenn du auf einem Fahrstreifen fährst, der nicht ganz rechts liegt, rechts von dir also noch Autos fahren, ist es den Fahrern gegenüber nicht fair, auf dem eigenen Fahrstreifen ganz rechts zu fahren, weil die sich dann immer fragen müssen, ob du da bleibst, wo du fährst, oder ob sie dich unversehens vor der Nase haben. Mittig auf dem eigenen Fahrstreifen zu fahren, zeigt den links oder rechts daneben Fahrenden, dass man zunächst auch zu bleiben gedenkt, wo man fährt.

    Friedhelm Waitzmann, Stuttgart, public2014.fwnsp@spamgourmet.com

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    1. Vielen Dank, Friedhelm, für die perfekte Beschreibung des Linksabbiegens über mehrere Spuren. So mache ich das auch. Früh anfangen mit dem Spurwechsel. Die Radler-Lösung wäre ein verbreiterteter Aufstellplatz an der Ampel vor der Haltelinie der Autos. Frage: Geht das so oder würden Sie sich hier Schutzstreifen oder irgendwas anderes wünschen?

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  4. Zu Viola, 23. September 2014 22:07:

    »die Linksabbiegerampel wird für Radfahrer nicht grün«

    Dann ist die Ampel defekt, und du darfst nach 120 s vorsichtig fahren. Die Wartezeit nutzt du am besten, um das Schaltprogramm zu beobachten. Eventuell kannst du dann auch erkennen, wann für dich Grün dran wäre. Und wenn sich's mal ergibt, dass vor dir ein Auto wartet, kannst du dir merken, wo im Umlauf ihr Grün bekommt. Und wenn du dann mal wieder alleine wartest, erkennst du dann gleich, ob die Schaltung immer noch defekt ist. In dem Fall fährst du dann – natürlich vorsichtig –, auch wenn da noch keine zwei Minuten herum sind.

    Friedhelm Waitzmann, Stuttgart, public2014.fwnsp@spamgourmet.com

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  5. Zu Christine Lehmann, 29. September 2014 09:08: »Die Radler-Lösung wäre ein verbreiterteter Aufstellplatz an der Ampel vor der Haltelinie der Autos. Frage: Geht das so oder würden Sie sich hier Schutzstreifen oder irgendwas anderes wünschen?«

    So einen Radfahreraufstellplatz würde ich nicht nutzen wollen, weil er bei gewissen Autofahrern nur Unmut erzeugt über die Bevorzugung von Radfahrern, die »den Verkehr« aufhalten und nicht einmal Kraftfahrzeug‐ und Mineralölsteuer bezahlen.

    So ein Radfahreraufstellplatz hätte nur dann eine Wirkung, wenn er an wartenden Kraftfahrzeugen vorbei erreichbar wäre. Das aber ginge nur mit einem Fahrstreifen nur für Radfahrer. Der bräuchte Platz und würde deshalb nicht so breit angelegt, dass man sich darauf auch noch wohl fühlen könnte, wenn links oder rechts davon Kraftfahrzeuge bereits führen, weil sie Grün bekommen hätten.

    Mein Fazit: Ich würde ihn nicht nur nicht nutzen wollen, sondern ihn überhaupt nicht wollen, weil es garantiert Unmut erzeugt, wenn ich ihn nicht benutze. (Ist das Nichtbenutzen eigentlich unverträglich mit der StVO?)

    Friedhelm Waitzmann, Stuttgart, public2014.fwnsp@spamgourmet.com

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    1. Genau das ist der Sinn vorn verbreiterten Aufstellflächen vor den Autos, zu denen natürlich ein Radstreifen hinführen muss. Damit Radler an der Autoschlange vorbei nach vorn fahren können. Ist ja auch nicht schlecht, wenn das bei Autofahrern Unmut erregt. Sie sehen, dass man mit dem Rad auch Vorteile hat und schneller vorankommt. Was übrigens auch so ist. In der Stadt ist ein Autofahrer mit durchschnittlich etwa 18 Stundenkilometern unterwegs, ein Radler auch. Der ist sogar schneller, wenn er auf seiner Strecke ampelfreie Strecken zur Verfügung hat.

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