5. Dezember 2013

Straßenkampf in der Innenstadt


Minus 1 bis 0 Grad. Trotzdem sind an einem Dezembermorgen um halb zehn etliche Radler unterwegs. In Stuttgart wird inzwischen auch im Winter deutlich mehr gefahren als noch vor einigen Jahren. Nur dass Autofahrer es sich wieder abgewöhnt haben, auf Radfahrer zu achten.

Im Sommer fällt es ihnen leichter, weil viel mehr Radler unterwegs sind. Aber wer am Morgen die Scheiben seines Wagens freikratzen muss, kann sich offenbar kaum vorstellen, dass es Leute gibt, die Handschuhe anziehen und eine Mütze aufsetzen, um den Weg in und durch die Stadt auf dem Rad zurückzulegen. Fußgänger können sich das übrigens auch nicht vorstellen, obwohl sie auch Stiefel und Handschuhe tragen.


Im Mischverkehrsabschnitt der Tübinger Straße hat sich die Lage über den Sommer zudem verändert. Natürlich parken noch genauso viele Autos auf den Halte-Plätzen wie von Anfang an, und an einem Vormittag um halb zehn sind Unmengen Lieferanten unterwegs, die hin und her rangieren. Aber die Fußgänger haben inzwischen entdeckt, dass auch der asphaltierte Teil ihr Raum ist. Sie spazieren dort lang und sie überqueren die Straße ohne nach links oder rechts zu schauen. Während sie ein Auto immer noch bemerken, nehmen sie Radfahrer nach wie vor nicht wahr. Sie hören und sehen uns nicht. Und nicht immer ist für einen Radfahrer abzuschätzen, ob der Fußgänger plötzlich von seiner geraden Lauflinie abweicht und uns vors Rad schusselt. Das heißt: Auf der Hauptroute 1, dem Tallängsweg, haben wir nicht die Vorfahrt, sondern das Nachsehen: Schrittgeschwindigkeit, Slalom fahren, bimmeln und bremsen.

Das setzt sich in der Fahrradstraße Eberhardstraße fort. Auch diesen Fahrbahnraum entdecken Fußgänger zunehmend für sich. Sie überqueren die Bahn nicht nur auf den Zebrastreifen, sondern überall. Ist ja wenig Verkehr und die Autos fahren sehr langsam. Doch interessanterweise gucken Fußgänger auf den Verkehr, wenn sie am Zebrastreifen stehen und rüberwollen, aber sie gucken überhaupt nicht, wenn sie die Straße einfach so überqueren, gerne auch diagonal. Ein interessantes Phänomen. Ein Fußgängerzonenverhalten. Natürlich sehen wir Radler diese Fußgänger, aber der Grimm steigt. Das ist jetzt eigentlich mal unsere Vorfahrtstraße, und die müssen wir jetzt an die Fußgänger abtreten.

Nicht zu reden von den Autofahrern, die reihenweise von der Torstraße (vom Wilhelmsplatz kommend) einbiegen, bis zur Dornstraße vorfahren, dort nach rechts abbiegen und die Eberhardstraße wieder verlassen. Von "Anliegen" in der Anliegerstraße keine Spur.
Und es gibt erstaunlich viele Autofahrer, die das Einbahnstraßen-Einfahrtverbotsschild übersehen, wenn sie vom Rathaus her aus der Dornstraße herauskommen. Sie biegen einfach rechts Richtung Tübingerstraße und Rotebühlplatz ab und landen dann an der Radlerampel.

Dieser Autofahrer ist einer von dreien, die das innerhalb von 5 Minuten taten, nur dass er von Außerhalb war und immerhin erschrocken fragte, was er denn gerade falsch mache. Schild? Nö, nicht gesehen. "Ich habe mich nur gewundert, dass auf der Ampel Radzeichen sind."

Hinter mir stand an dieser Ampel kürzlich auch schon die Polizei in einem Einsatzwagen, aber nicht im Einsatz, und dieselte wartend an der Ampel, die nur für Radfahrer ist, die hier gegen die Einbahnstraße rausfahren dürfen. Als ich mich erstaunt nach dem Polizeiwagen umdrehte, entschloss sich der Beamte zu wenden und die Einbahnstraße - diesmal in richtiger Richtung - wieder zurückzufahren. Schuldbewusst? Kann es sein, dass auch die Ordnungshüter das Einfahrt-Verboten-Schild übersehen? Hier könnte man jedenfalls mal was tun, um den Autofahrern die Lage zu verdeutlichen. (Immerhin kostet es es, gegen eine Einbahnstraße zu fahren, auch für Radler.)

Etwas weiter, auf der Marktstraße, herrscht Weihnachtsmarkt. Morgens um halb zehn ist da nicht viel los, sollte man denken. Es sind tatsächlich nur wenige Fußgänger, die blicklos über die Straße gehen - unsere Fahrradstraße übrigens -, dafür aber um so mehr Lieferverkehr. Der Lieferwagen auf dem Foto  hat den Radler gerade massiv ausgebremst. Er muss das Rad den Bordstein hoch auf den Gehweg heben, um nicht touchiert zu werden.

Und auch von der Planie her, am Karlsplatz entlang kommend, neigt der Autofahrer dazu, ohne einen Moment zu zögern, die Weihnachtsmarkt-Schranke zu umrunden und in die Münzstraße Richtung Marktplatz einzufahren. In unsere Fahrradstraße!, die wir uns im Sommer sowieso schon mit Einkaufs-Schlendern und im Winter mit Weihnachtsmarktbesuchern teilen müssen, die uns nicht sehen und ausbremsen.

An einem Dezembervormittag ist der Innenstadtbereich ein Kampfplatz zwischen Autofahrern und Radlern, und ein Slalomfahren durch Fußgänger, die uns nicht sehen wollen. 

Diesen Teil der Hauptroute 1 - vom Gerber, über den Mischverkehrsweg, durch die Eberhard-, Markt- und Münzstaße - müssen wir in ein paar Jahren wohl aufgeben und durch eine andere Innenstadtquerung ersetzen. Das ist unzumutbar für Alltagsradler, die durch die Stadt wollen.

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